Mav und Shae, das Paar, das die Nachbarschaft unsicher gemacht hat. Noch heute gibt es Stadtbewohner, die sich daran erinnern, was ihr damals für Scheiße gebaut habt. Ihr wart die Kinder, mit denen die anderen nicht spielen durften. Aber am besten fangen wir von vorne an.

Zuerst warst du mit dem Nachbarsjungen befreundet, Ronan, der aus ähnlichen, verwahrlosten Verhältnissen stammte. Der hatte allerdings ständig seine kleine Schwester Shae im Schlepptau, und aus euch wurde ein kleines eingeschworenes Grüppchen. Zu dritt habt ihr die ganze Nachbarschaft unsicher gemacht, weil ihr nur Blödsinn im Kopf hattet. In Gärten einbrachen, Fahrräder klauen, Klingelmännchen spielen, wenn etwas passiert war, war es meistens eure Schuld.

Während Ronan es als Teenager schaffte allmählich die Kurve zu kriegen, wurde Shae nur noch schlimmer und riss dich mit. Oder war es umgekehrt? Ihr wart wie Feuer und Benzin. Eure wilden Aktionen gaben euch wenigstens ein bisschen Kontrolle über euer eigenes Leben, weil es eine Möglichkeit bot Frust abzubauen und damit umzugehen was Zuhause und in der Schule passierte.

Wann eure Gefühle füreinander umschlugen, kann heute keiner von euch mehr sagen. Shae war vermutlich noch ein bisschen zu jung, als du das erste Mal mit ihr geschlafen hast, auf dem abgeranzten Sofa bei euch im Keller. Verliebt wart ihr nicht, aber verdammt neugierig, und Sex hat halt einfach Spaß gemacht! Ihr wart auch nie zusammen, nicht so richtig. Es war nicht offiziell, aber ihr habt euch beinahe wie ein Pärchen benommen. War aber auch echt okay, wenn man mal mit wem anders, das habt ihr ganz locker gesehen.

Durch euer Leben Zuhause und in der Schule habt ihr früh angefangen zu trinken und irgendwann auch zu kiffen, weil das alles ein bisschen erträglicher gemacht hat. Und irgendwann hast du das erste Mal Heroin mitgebracht. Der einzige, den es kümmerte, was zumindest mit Shae passierte, war Ronan. Er sah, wie Shae und du gemeinsam den Abgrund hinabstürzten und keiner loslassen wollte. Er erkannte, dass eure Freundschaft absolut ungesund war und Shae zugrunde richten würde. Mehr als einmal habt ihr euch deswegen gestritten und sogar geprügelt. Wo Ronan seine blutige Nase und du dein blaues Auge herhattet, habt ihr Shae nie erzählt, aber an diesem Tag war eure Freundschaft endgültig vorüber. Dich von ihr fernhalten konnte diese Auseinandersetzung allerdings nicht.

Im Gegenteil, irgendwann hattet ihr das Kleinstadtleben satt, einfach alles. Spontan seid ihr ja schon immer gewesen, abzuhauen war eine echte Schnapsidee von euch, aber ihr habt das durchgezogen, in einer Nacht- und Nebelaktion seid ihr ab nach Portland. Dort wolltet ihr frei sein, ohne Zwänge, ohne Menschen, die euch nicht guttun. Bescheid gesagt habt ihr natürlich niemandem, nur ihrem Bruder hatte Shae gesagt, wo ihr seid.

Ihr wusstet zwar nicht, was euch erwartet, aber ihr habt euch das Leben auf der Straße vielleicht doch ein bisschen einfacher vorgestellt. Irgendwie seid ihr aber doch über die Runden gekommen, mit Diebstählen, mit Freunden, die ihr kennengelernt habt, die genau so waren wie ihr. Eure Bindung war stärker denn je, trotz eures Drogenproblems, das immer größer würde. Ihr habt so einiges getan, worauf ihr heute nicht stolz seid, aber seid immer füreinander dagewesen.

Um eure Sucht zu finanzieren hast du irgendwann angefangen selber zu dealen. Ging auch eine ganze Weile gut, bis man dich doch erwischt hat und du ins Gefängnis musstest. Das hättest du ja vielleicht noch ertragen, aber plötzlich war Shae wie vom Erdboden verschluckt und nicht mehr auffindbar. Hat sie dir den Rücken gekehrt und dich einfach im Stich gelassen? Ist ihr etwas passiert? Seit Jahren weißt du die Antwort auf diese Fragen nicht, und es macht dich wahnsinnig. Ihre Abwesenheit schmerzt.

Früher warst du der Alptraum deiner Mitmenschen, frech, vorlaut und immer bereit dich und deine Freunde zu verteidigen. Zu Hause lief es echt beschissen, dein Vater war nicht gut zu dir und deine Mutter hat sich irgendwann aus dem Staub gemacht, weil sie sich selbst finden wollte. n der Schule warst du auch nicht gut, weil du keine Lust hattest dir Mühe zu geben.
Der einzige Lichtblick in deinem Leben waren Ronan und vor allem Shae. Shae hat es immer geschafft dich doch irgendwie aufzumuntern, und du hast sie immer beschützt, weil sie wie eine kleine Schwester für dich war. Ob du ihr jetzt nicht gutgetan hast oder sie dir, das kann man gar nicht mehr wirklich sagen. Du wärst für sie durch die Hölle gegangen, bis ans Ende der Welt, alles hättest du für sie getan. Und dann hat sie dich einfach alleine gelassen, als du ins Gefängnis musstest! Das macht dir immer noch zu schaffen.
Mittlerweile hast du deine Strafe abgesessen. Die Zeit dort hat es geschafft dir etwas Vernunft ins Hirn zu prügeln, du hast sogar deinen Schulabschluss nachgeholt. Auch deine Drogensucht hast du überwunden und bist bis heute clean.
Nach deiner Haft wusstest du nicht, wo du hinsolltest und bist nach Harper Grove zurückgekehrt. Aber jetzt bist du hier und versuchst wieder auf die Beine zu kommen. Du musst zum ersten Mal ein normales Leben führen und fühlst dich bestimmt noch etwas verloren. Oder hast du schon Pläne geschmiedet? Und was ist eigentlich mit Shae? Aus Ronan war nichts über ihren Verbleib rauszukriegen. Der ist übrigens immer noch nicht sehr gut auf dich zu sprechen.
Übrigens wohnt jetzt auch deine drogenabhängige, obdachlose Schwester Juna bei dir. Du würdest ihr gerne helfen, aber kannst du das auch?

Ihr seid also beide wieder zurück in Harper Grove, und in so einer kleinen Stadt bleibt es nicht aus, dass man sich irgendwann über den Weg läuft. Shae wird auf jedenfalls völlig ausflippen und dir um den Hals fallen, weil sie sich viel zu sehr vermisst hat. Und irgendwie fliegen auch immer noch gewaltig die Funken zwischen euch. Kein Wunder also, dass ihr schnell wieder miteinander im Bett landet. Du weißt nichts davon, dass Shae verheiratet ist, du weißt nicht, wer der Vater ihrer Tochter ist. Du weißt nur, dass du sie nie wieder gehen lassen willst. Euer gemeinsamer Weg wird bestimmt nicht einfach werden, aber ihr wollt ihn gehen.